Menno ter Braak
aan
Klaus Mann

Den Haag, 23 november 1934

Haag, 23 Nov.'34

 

Lieber Herr Mann

Mit der Beurteilung Ihres Romans habe ich ziemlich lange gewartet. Der Grund war nicht nur Platzmangel oder Phänomene in der Holl. Literatur; nachdem ich n.l. Ihr Buch gelesen hatte, war ich wirklich sehr enttäuscht über das Ganze und deshalb war es mir peinlich das öffentlich zu sagen. Ich habe ja die freundschaftliche Widmung sehr geschätzt und ich hätte am liebsten nicht darüber geschrieben. Jetzt habe ich es schliesslich doch getan, und ich habe versucht in meiner Kritik ganz abzusehen von unseren persönlichen Beziehungen. Es kam mir ja so vor, alsob in letzten Linie eine Besprechung aus dem befreundeten Lager Ihren doch wertvoller sein würde als eine indifferenten oder sogar feindlichen Artikel eines Herrn X.

Dazu kommt noch ein Grund. Ich lese wochentlich bezw. monatlich die literarische Kritik im ‘Neuen Tagebuch’ und in der ‘Sammlung’; und es ist mir aufgefallen, dass in den Kreisen der Emigration eine nicht ungefährliche ‘admiration mutuelle’ sich eingeschlichen hat. Früh oder spät wird der Emigration als solche ein Vorwurf daraus gemacht werden. Es schien mir also empfehlenswert, dass auch dieser Vorwurf von unverdächtig befreundeter Seite kommen würde; und darum habe ich der Besprechung Ihres Buches eine Einleitung über die Emigrantenkritik vorangehen lassen. Ich habe aber dabei sehr scharf betont, dass meine Kritik ihre Basis in einer gemeinschaftlichen Stellungnahme zum ‘offiziellen’ Deutschland hat, damit auch nur die geringste Spur eines Missverständnisses sofort verschwinde. Es ist mir trotzdem furchtbar unangenehm, dass ich diesen Artikel schreiben musste, Sie werden hoffentlich verstehen, dass ich es mit den besten Absichten tat und an erster Stelle um einen Angriff von Feinden vorzubeugen.

Wie konnten Sie nur ein solches Buch schreiben! Für mich bedeutet es, nach Ihrem ‘Kind dieser Zeit’, ein so wesentlicher Schnitt rückwärts, dass ich es noch kaum verstehen kann. Ich habe geschrieben, dass die Emigration an Ihnen vorbeigegangen zu sein scheint, und ich habe sprechen müssen von einer ‘immensen Leere’. Und tatsächlich, das Buch ist nach meiner Meinung vor allem unendlich leer, öde, ohne innerliche Spannung. Es ist Literatur im schlechten Sinne des Wortes, es ist überhaupt nur ein Spiel mit literarischen Worten. Die Geschichte als solche ist ohne Bedeutung und ich verstehe nicht, wie man über diese kleine Perversitäten und Ausflüge so umständlich schreiben kann, solange es Konzentrationslager und Antisemitismus gibt. Ich, den ich nicht zu emigrieren brauchte, hatte während der Lektüre (hoffentlich verzeihen Sei mir die Anmassung) das Gefühl, dass ich die Emigration, den Sinn der Emigration, gegen Sie verteidigen müsste. Das wird peinlich ungerecht und töricht sein, aber es war nun einmal so.

Der Artikel erscheint am nächsten Sonntag. Ich schicke Ihnen selbstverständlich die Nummer der Zeitung. Seien Sie bitte so freundlich und schreiben Sie mir Ihr Urteil über diesen Artikel. Ich kann natürlich unrecht haben; aber wenn sich mich richtig verstehen, werden sie auf keinen Fall aus meiner Kritik auf eine unfreundschaftliche Handlungsweise schliessen.

Mit herzlichen Gruss

Ihr Menno ter Braak

 

Origineel: Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München

vorige | volgende in deze correspondentie
vorige | volgende in alle correspondentie