Menno ter Braak
aan
Miriam Lewin

Den Haag, 19 februari 1935

Haag, 19. II.'35

Liebe Frau Lewin

Entschuldigen Sie bitte mein langes schweigen; ich hatte in diesem Winter soviel zu tun mit Theater und jetzt auch noch den Film (ad interim), dass ich zu nichts kam.

Es tut mir furchtbar leid, dass es Ihren Mann so schlecht geht. Ich verstehe, dass er an der Grenze angelangt ist; sein Schicksal ist in jeder Hinsicht schwer und gewissermassen absurd, weil er als Schriftsteller keine Heimat hat. Aus unseren Gesprächen weiss ich, was er zu sagen hat; nur fürchte ich, dass er nicht den richtigen Boden für seine Arbeit finden wird, denn ich glaube, dass er bei den polnischen Juden wenig Erfolg haben wird. Seine Novelle hat mir sehr gut gefallen, leider konnten meine Kollegen in der Redaktion meiner Meinung nicht beipflichten; Sie fanden das Ganze nicht gelungen. Wer hat Recht? Dr. Vestdijk, den Sie bei uns gesehen haben, vertritt die Ansicht, Ihr Mann spreche viel besser als er schreibe; er war von seiner Persönlichkeit sogar begeistert und behauptete nun, ich interpretiere den lebendigen Lewin in die Novelle hinein. Unmöglich ist das schon nicht, wenn ich es auch nicht ganz glaube. Dass Ihr Mann in seinem Roman, den ich (leider nur teilweise) hier lesen konnte, noch immer bei seinem Gesprächston zurückbleibt, kann ich schon eher glauben; die Novelle hatte für mich eine wirklich bezaubernde Kraft, nicht am wenigstens durch die autobiographische Elemente, die ich darin zu entdecken glaubte. Sie werden aber verstehen, dass ich in diesem Fall nachgeben muss und Ihnen die Novelle zurückschicke. Nein, ich habe noch eine bessere Idee: ich werde sie an Klaus Mann schicken, wenn Sie wenigstens nichts dagegen haben, für ‘Die Sammlung’, schreiben Sie mir bitte umgehend ob ich das tun soll!

Der Brief aus Warschau von 17. Jan. habe ich auch erhalten und ich war Ihnen sehr dankbar dafür. Wohl übertreiben Sie unsere Verdienste etwas zuviel, denn noch einmal: ohne aufrichtige Gefühle der Verwandtschaft wäre ich ein Egoist wie alle andre, und für Freunde interessiert man sich aus persönlichen Gründen. Wenn Ihr Mann im Frühling hier noch auf einige Zeit wohnen, ruhen und arbeiten will, ist er uns herzlich willkommen, und Sie natürlich nicht weniger, liebe Frau Lewin. Es wäre mir lieb, dass er diesen Gedanken festhält und nicht verzweifelt, solange Pomonaplein 22 noch existiert.

Der Regisseur, Defresne, antwortete endlich: er hatte das Stück zu seinem Bedauern...vergessen, versprach mir aber es in einigen Tagen zu lesen und zurückzuschicken oder sich wenigstens zu entscheiden. Das war schon wieder vor einem Monat... Die Truppe scheint übrigens schwere Geldsorgen zu haben. Vielleicht ist das der Grund seiner besonderen Unhöfflichkeit. Uebrigens behandelt er mich nicht besser. Ich schrieb nämlich in drei Wochen das Stück worüber ich mit Ihrem Mann manchmal gesprochen habe: eine Satyre über die Diktatur. Freilich ist es mehr eine Satyre auf die Rüstungsindustrie und die Zeitungen geworden, aber auch die Diktatur bekommt Kiebe. Jedenfalls erscheint die Komödie im April als Buch; Sie werden selbstverständlich ein Exemplar erhalten. Titel: ‘Die Panzerzeitung’. So kam ich noch nicht zum umarbeiten des ‘Politicus’. Na, wahrscheinlich haben Sie vorläufig noch Stoff? Schreiben Sie mir sonst bitte, dann beeile ich mich. Augenblicklich ist die Saison leider ohne Gnaden.

Ich muss heute abend noch eine Filmkritik auffertigen und darum muss ich Schluss machen. In diesen Monaten habe ich für die Privatkorrespondenz nur wenig Wert! Beurteilen Sie mich bitte nicht danach!

Bestellen Sie Ihrem Mann, wenn er nach Wien kommt, einen herzlichen Gruss. Meine Frau lässt vielmals grüssen; sie war ein paar Tage krank, ist nun wieder gesund.

Mit herzlichen gruss

Ihr Menno ter Braak

Fotokopie: Den Haag, Letterkundig Museum

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