Menno ter Braak
aan
Klaus Mann

Den Haag, 9 september 1937

Haag, der 9.Sept,’37

 

Lieber Klaus Mann

Ihr Brief hat mich in sofern überrascht, dass ich von dem ‘Jurist’ wirklich nichts geahnt habe. Natürlich war ich mich volkommen davon bewusst, dass es ein Gegensatz gebe zwischen Ihren und meinen Standpunkt, und ich möchte auch nicht versuchen diesen Gegensatz, irgendwie zu vertauschen; dass sich bei mir aber so etwas wie ‘Feindschaft’ entwickelt hätte glaube ich, nach ehrlicher Selbstprüfung, bestimmt leugnen zu müssen. Es freut mich übrigens sehr, dass Sie diesen Brief geschrieben haben, denn ich gebe die Möglichkeit eines Missverständnisses ohne weiteres zu. Erika hat mich damals aufmerksam gemacht auf einen Satz in meinem Artikel im NTB (in de kantlijn: über die Pfeffermühle), in dem ich Ihren Namen nannte, und der den falschen Eindruck eines persönlich ‘Sticher’ machen könnte. Das eben war gar nicht meine Absicht; ich wollte ein Prinzip angreifen, nicht zurückkommen auf eine alte Kritik! Vielleicht war es ein diplomatischer Fehler, dass ich an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang dieses Prinzip noch einmal auf Ihren Namen taufte? Es ist schon möglich, es war aber nicht persönlich gemeint.

Meinerseits brauche ich also wirklich keine ‘Versöhnung’ vorzuschlagen; wohl aber möchte ich die Gelegenheit benutzen um einer unerwünschten Entfremdung vorzubeugen. Dass Sie an mich damals eine gewisse Befangenheit wahrgenommen haben, will ich Ihnen nicht abstreiten, denn ich fühlte mich tatsächlich ein wenig befangen. Nicht weil ich über Ihr Buch eine schlechte Kritik geschrieben hatte, sondern darum, weil in dieser Kritik wirklich eine Auseinandersetzung gegeben war; eine Auseinandersetzung, die mich selbst peinlich berührte, weil Sie in mir auch etwas modifizierte, nämlich meine Beziehung zur deutschen Emigration. Nicht meine Beziehung zum deutschen Nationalsozialismus; seit 1933 ist mir keine einzige Tatsache in den Weg gelaufen, die mich dazu gezwungen hätte meine Stellungnahme zu diesem ‘Aufstand der Massen’ zu revidieren. Ich glaube in sofern noch an die Emigration, und ich werde dem gemeinsamen Feind gegenüber nichts unterlassen, das den Glauben an eine gemeinsame Front gegen den Nationalsozialismus verstärken kann. Aber nach meiner Meinung wird nichts diesen Glauben sosehr kräftigen als eine unabhängige und scharfe Kritik unter den Gegnern des Nationalsozialismus. Es ist volkommen sinnlos einander zu beschützen, zu streicheln, zu rekommandieren; man ehrt sich gegenseitig, wenn man sich gegenseitig kritisiert. Diese Auffassung habe ich später im NTB vertreten, natürlich ohne Erfolg. Die Literatur der Emigration ist grösstenteils eine Literatur der Vergangenheit; sie setzt sich nicht auseinander mit dem Nationalsozialismus, sondern begnügt sich damit über die Barbaren und die guten alten Zeiten Seufzer abzugeben. Die Zeiten aber werden nicht wieder zurückkommen, und der alte Humanismus wird ebensowenig zurückkommen. Wenn ich den Nationalsozialismus bekämpfe, tue ich das nicht im Namen der Vergangenheit, sondern nur darum, weil ich keine Wahl habe. In Ihrem Roman entdeckte ich damals die Vergangenheit und den alten Humanismus als Leitmotive; das war für mich eine Enttäuschung, die ich bestätigt fand in den gegenseitigen Lobhudeleien der Emigrationskritiker, die gar keine Kritiker sind, sondern einfach Reklamechefs einer ‘Auslandvertretung’. Glauben Sie mir, lieber Klaus Mann, ich habe das nicht so leicht für mich selbst festgestellt, wie ich es hier niederschreibe! Ich wurde gezwungen es festzustellen, und so musste ich die Illusion einer kritischen, der Zukunft gewachsenen Emigration allmählich preisgeben.

Dass Sie mir meine Kritik nicht übelgenommen haben, glaube ich unbedingt, und ich weiss das zu schätzen. Die ‘völlige Beziehungslosigkeit’, von der Sie sprechen, hat mit persönliche Angelegenheiten nichts zu tun. Was ich fühlte war dies: dass meine Kritik Ihnen nichts zu sagen hatte, dass Sie nicht als ein Versuch der prinzipiellen Auseinandersetzung aufgenommen wurde; warum sollte man dann eine Gemeinsamkeit vortäuschen, die nicht existiert? ‘Wir lieben, meinen, wollen, im Grossen, ganzen, wesentlichen, das Gleiche’, schreiben Sie. Ich glaube eher, wir hassen das gleiche, d.h. die Anti-Kultur, den Anti-Humanismus; damit ist nicht gesagt, dass wir dieselbe Kulturbegriffe und die gleiche Auffassungen vom Humanismus habe. Ich nehme an, dass ich das Buch von Konrad Merz stellenweise überschätzt habe, nur darum, weil ich darin fühlte, dass er nicht der humanistischen Vergangenheit zugewandt war und den Nationalsozialismus anzugreifen magte ohne die literarischen Gebärde des wohlerzogenen Kosmopoliten. Schreibt er gut, schreibt er schlecht? Es interessiert mich nur sekundär; er beschäftigt sich wenigstens nicht mit Nebensachen. Ein Mädchen, dass am Abgrund sitzt und häkelt, könnte mich nicht mehr staunen lassen als Ihre, ‘Symphonie Pathétique’. Ich glaube trotzdem, dass Sie das Buch künstlerisch verantworten können: ist es dann nicht sinnlos über Qualität zu diskutieren? Sie schreiben mit Einsatz Ihrer ganzen Persönlichkeit ein Buch: ich sehe fortwährend nur den Abgrund und das Häkeln! Was soll man da machen? Ich habe Ihren ‘Mephisto’ noch nicht gelesen, obschon der Gegenstand mich interessiert. Das ist ein Fehler meinerseits, den ich bald gutmachen werde.

Hoffentlich ist es mir gelungen Sie davon zu überzeugen, dass kein einziger Grund für einen persönlichen ‘Streit’ vorliegt; ich bin also sehr dafür, dass wir, sobald Sie nach Holland zurückkehren, Versöhnung feiern. Melden Sie sich bitte, denn ich möchte über manches lieber sprechen als schreiben. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise!

mit herzl. Gr. Ihr

Menno ter Braak

 

Wenn ich über die Emigrationskritiker als Reklamechefs spreche, denke ich selbstverständlich nicht an Korruption, sondern nur an einen Emigrationskomplex. Man hat das Bedürfnis sich zu rechtfertigen, und so gelangt man allmählich vom (alfa) der Apologie zum (omega) der Kritiklosigkeit.

Entschuldigen Sie ev. Fehler, ich habe sehr schnell geschrieben, weil ich Ihnen umgehend antworten wollte.

 

Origineel: Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München

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